TAZ Medientagebuch Juni 2011

Steffen Grimberg

Irgendwann mitten im Juni stellte sich ein höchst unpräzises Gefühl ein: dieses Internet, gibt es das wirklich? Denn eigentlich durchleben wir einen Monat der klassischen alten Medien, vom Dampfradio bis zur Zeitung und ihren verzweifelten Verlegern: Da sucht der Deutschlandfunk einen neuen Programmdirektor, der Südwestrundfunk und das ZDF wählten dafür bereits jeweils neue Intendanten. Ein Gericht in Erfurt ermittelt seit Monatsanfang den Millionen hinterher, die beim Kinderkanal von ARD und ZDF verschwundenen sind. Und die Verleger haben wieder einmal das Kriegsbeil ausgegraben – gegen den öffentlich-rechtlichen Rundfunk. Das Netz, so scheint es, ist - von wenigen Momenten abgesehen - schon im Sommerurlaub. Doch der Reihe nach. Da war zunächst einmal das ZDF, das die Redaktion in Atem hielt: Intendant Schächter hatte angekündigt, keine dritte Amtszeit anzuhängen. Und damit alles nicht wieder ein großes Durcheinander wie 2002 würde, als das Zweite beinahe ohne obersten Chef da stand, war alles ausnehmend gut eingespielt: der neue ZDF-Intendant heißt ab Frühjahr 2012 Thomas Bellut, soviel stand schon vor der Wahl fest. Weil a) so gut wie alle im Fernsehrat, der den Intendanten zu wählen hat, für Bellut waren. Und b), weil man, um auch wirklich ganz sicher zu gehen, auch gar keinen weiteren Kandidaten ins aussichtslose Rennen schickte. Doch dann kam Claudius Seidl um die Ecke. Der ist Chef des Feuilletons der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung. Und ob den nun einfach der Hafer stach oder das ganze von Anfang wenigstens halb ernst gemeint war: Seidl schrieb eine große Bewerbung für das Amt des ZDF-Intendanten, ganz öffentlich, mitten in seinem Blatt. Und forderte, das zweite sollte endlich wieder seine Zuschauer ernst und überhaupt wahrnehmen. Die Medienberichterstattung hatte ihr Thema. Plötzlich waren alle wieder wach und Seidls Telefonnummer ungemein gefragt.. Große Aufregung in Mainz: Was, wenn der Kerl das ernst meint? Zumal Seidl bis zur Wahl Mitte Juni in Interviews auch nochmal mächtig nachlegte. Und markige Sätze sagte wie: „Es scheint mir die Aufgabe des nächsten ZDF-Intendanten zu sein, weniger im Dienst des Apparats als im Dienste des Gebührenzahlers und des Zuschauers zu stehen.“ Am Ende funktionierte der Apparat namens Fernsehrat aber verlässlich wie immer: Mit rund 90 Prozent der Stimmen wurde Bellut gewählt. Seidl war nach der komplizierten Wahlordnung beim ZDF nämlich gar nicht zugelassen. Nun steht Bellut für ein solides weiter-so. Und will den Sender weiter Verjüngen, vor allem im Hauptprogramm, wo die über 60-jährigen gucken. Aber auch das ist nicht wirklich neu: daran arbeitet Thomas Bellut schließlich schon eine ganze Weile. Genau genommen, seit er vor knapp zehn Jahren beim Zweiten Programmdirektor wurde. Doch nicht nur das ZDF ist reif fürs Museum, beweist der Juni, sondern auch RTL: Die größte TV- und Radiogruppe Europas will ihre eigene Geschichte sichern und später ausstellen. Gesucht wird vor allem ein Radioapparat mit einem eigenen Knopf für Radio-Luxemburg. Für dieses epochale Unterfangen interessieren wir uns aber erst wieder, wenn sie einen gefunden haben. Bereits gefunden sind übrigens auch die verschwundenen Kika-Millionen. Nicht, dass der Kanal für die lieben Kleinen davon noch etwas hätte, was vielleicht erklärt, warum „Bernd das Brot“, die wohl populärste Kika-Figur für Erwachsene, immer so verzweifelt-griesgrämig guckt. Denn der Herstellungsleiter des gemeinsamen Senders von ARD und ZDF hatte über Jahre üppige Beträge abgezweigt. Ganz einfach, per Scheinrechnung. Und mit freundlicher Mithilfe einer verarmten, geldbedürftigen Produktionsfirma. Das Ganze ging ganz leicht – und war leider furchtbar effektiv: Der Kika.-Mann bestellte pro forma bei der Produktionsfirma eine Dienstleistung, die die gar nicht lieferte. Und der Kika zahlte trotzdem. Am Ende wurde das Geld geteilt – in knapp zehn Jahren waren das rund 8,2 Millionen Euro. Der Mann von der Produktionsfirma steckte es in die Firma – die trotzdem letztes Jahr Pleite ging. Und der Herstellungsleiter vom Kinderkanal trug das Geld ins Kasino: Er war nämlich spielsüchtig. Zum Politikum wurde das Ganze aber dadurch, dass über all die Jahre niemand etwas merkte – beim Kika nicht. Und auch nicht beim MDR, der eigentlich – gewissermaßen als Erziehungsberechtigter – auf den Kinderkanal aufpassen sollte. Dort will heute niemand etwas gehört oder gesehen haben, obwohl es nach Zeugenaussagen durchaus Hinweise gab. Das Ganze hat also das Zeug zum großen Krimi. „Tatort Kika“ gewissermaßen. Allerdings ist fraglich, ab sich die ARD die Gage leisten kann – schließlich spielen einige ihrer eigenen Intendanten, Programmdirektoren und Senderchefs mit. Und was den Prozess angeht: Anfang Juli wird das Urteil erwartet. Aber dann war plötzlich das Internet da, gleich zweifach sogar. Denn das Grimme Institut vergab seine begehrte Online-Awards. Und das lässt Redakteursherzen höher schlagen. Vor allem, wenn es die richtigen trifft. Also musste das GuttenPlagWiki dabei sein – und es war dabei. Schließlich machte es wahr, wovon alle Netzevangelisten träumen: Nutzer prüfen gemeinsam, ob ein Doktorand bei seiner Doktorarbeit abgeschrieben hat – und zeigen so den klassischen Massenmedien, was eine Harke ist. Für den damals laut Meinungsumfragen noch beliebtesten deutschen Politiker gab es kein entrinnen. Und für das GuttenPlag Wiki einen Preis. Auch das Radio kam übrigens zu Online-Ehren – in seiner modernsten Form: Die Homepage von "Deutschlandradio Wissen" bekam einen Grimme Award als bestes Angebot in der Sparte Information. Weniger preisverdächtig ist dagegen eine Attacke im Zeichen des Netzes, die Deutschlands Zeitungsverleger gegen Monatsende auf dem Medienforum Nordrhein-Westfalen ritten. Sie klagen nun gegen die ARD. Genauer gesagt: gegen die „Tagesschau“-App für Smartphones und diese neuen Tablet-Computer. Denn die neueste Darreichungsform der „tagessschau“ mache ihre eigenen Geschäftsmodelle im Internet kaputt. Oder, weil da ja noch nicht so viel zu sehen ist, jedenfalls verdammt schwierig. Und deshalb muss sie Weg, die App, weil sie „elektronische Presse“ darstellt, sagen die Verleger. Denn neben Bild und Ton gibt es in der Tat auf der Tagesschau-App wie auf der Website tagesschau.de ne Menge Lesestoff. Für den Chef der Axel Springer AG steht so wieder einmal die Zukunft des Qualitätsjournalismus auf dem Spiel. Das hat Mathias Döpfner jedenfalls im Interview mit der Süddeutschen Zeitung gesagt. Das stimmt zum Glück nicht, aber der Sommer wird heiß. Zumindest, wenn es um Medienpolitik geht. Und am Ende entscheiden die Gerichte. Wobei: Wenn es das öffentlich-rechtliche Angebot im Netz nicht gäbe, hätten gar nicht so viele Menschen von der Klage der Zeitungsverleger erfahren. Denn die Meldung schaffte es nicht in die TV-Ausgabe der „Tagesschau“. Sondern nur ins Radio – und in die „tagesschau“-App.

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