Neue Orte der Radiokunst: Athen

Meine Reise nach Athen war verbunden mit der documenta 14, die dieses Mal nicht nur in Kassel sondern auch in der griechischen Hauptstadt stattfindet. Ich hatte mich gefreut als ich vor einiger Zeit mitbekommen hatte, dass es ein Radioprojekt bei der documenta geben würde, und dann noch einmal, als die Einladung an Sarah Washington und mich kam im dem großen Pool von Radio-Aktiven mitzumachen, die das Programm gestalten werden. Die Idee ging von Bonaventure Soh Bejeng Ndikung aus, der als freier Kurator der documenta 14 ein weltumspannendes Radioprogramm erstellen wollte. Unter Mitarbeit von Marcus Gammel (Deutschlandradio Kultur) hat sich dann ein Radioprojekt entwickelt, das von April bis September hunderte von Mitwirkenden verbinden wird. Aber das kann Marcus Gammel sicher am besten selbst erzählen, er wird Gast in der kommenden SWR Mehrspur Sendung sein.

Athen bietet einem Radiotouristen wie mir ein im wahrsten Sinne des Wortes volles Spektrum, die gesamte UKW-Skala ist belegt mit Sendern, die hauptsächlich zwischen Pop, Rock und griechischer Volksmusik schwanken. Selbst eine Handvoll von Piraten reiht sich in diese Mainstream-Genres ein. Die einzige Ausnahme die ich finden konnte war ein dezidiert anarchistischer Piratensender mit spannendem Musikprogramm, der sich nicht orten ließ und auch auf email-Anfragen zwecks eines Besuches standesgemäß nicht antwortete. Gut. Die Stadt ist weiterhin Schauplatz von wöchentlichen Auseinandersetzungen zwischen Demonstranten und Polizei. Direkt neben einem dieser Schauplätze der Gewalt, wo ich abgefeuerte Knallgranaten made in Germany im Straßengraben finden konnte, liegt ein Büro des documenta 14 Teams. Der Bau aus geschichtsträchtigem weißem Marmor, der Baustoff der die Stadt bestimmt, ist ein ungenutztes Gebäude der Polytechnio. Ein spannendes Kapitel seiner Nutzung liegt in der jüngeren Vergangenheit: 1973 traten hier die Studenten in den Streik gegen die herrschende Militärjunta und nutzten unter anderem einen selbstgebauten Piratenradiosender um ihrem Protest Gehör und Unterstützung zu verschaffen. Nach einem Tipp von documenta Kurator Adam Szymczyk und mit Hilfe des Universitätskanzlers gelang es uns den damals genutzten Transmitter aufzuspüren. Er ist in einem nicht öffentlichen Nachbargebäude auf dem Gelände der Polytechnio im Keller eingemottet worden, verstaut in einer ehemaligen Ausstellungs-Vitrine mit einem dazugehörigen Mischpult und Mikrofon. Der Sender hatte eine Leistung von ca. 60-100 Watt und wurde wahrscheinlich von Physikstudenten aus einem alten Röhrenradiogerät umgebaut. Der Aufstand wurde blutig niedergeschlagen, läutete aber das Ende der Militärherrschaft ein.

Zwei der kooperierenden Radiostationen, die von April bis September den documenta Radiokanal bestücken werden kann ich hier schon vorstellen. Es handelt sich um Vokaribe Radio in Barranquilla, Kolumbien und MEC FM in Rio de Janeiro, Brasilien und sie könnten unterschiedlicher nicht sein. MEC FM ist Teil des nationalen Radios in Brasilien und versorgt Rio mit Klassik, Jazz und traditioneller Musik, vergleichbar in etwa mit SWR2. Umso erstaunlicher ist die Bereitschaft drei Wochen lang vier Stunden täglich das Programm mit ausgesuchtem Material der documenta, Klangkunst von Deutschlandradio Kultur und Archivaufnahmen der weiteren kooperierenden Radiostationen zu bestücken. Im Gegenzug wird das komplette MEC FM Programm rund um die Uhr drei Wochen lang neben dem documenta webstream auch in Kassel auf UKW und stundenweise sogar auf einem angemieteten Kurzwellensender zu hören sein. Vokaribe ist ein kleines, quirliges Community-Radio, das aus einem Raum in einer öffentlichen Bibliothek heraus arbeitet, aber gerne auch einmal Mikrofone, Kinder und Musikinstrumente mitten auf der Straße platziert um direkt aus dem Leben zu senden. Ihr Programm wird regelmäßig von Stromausfällen unterbrochen, ein Element des Zufalls der Radiomachern in Deutschland eher unbekannt ist. Meine Erfahrung damit beschränkt sich auf einen großflächigen Stromausfall, der 2012 nicht nur das von Sarah Washington und mir gestaltete Mobile Radio BSP in der 30. Biennale von Sao Paulo unterbrach, sondern die komplette Evakuierung der riesigen Kunstausstellung auslöste. Der Bürgermeister hatte in der Nachbarschaft feierlich die Weihnachtsbeleuchtung angeschaltet.

Wie das documenta Radio mit den erwartbaren Internet- und Stromausfällen bei den Sendepartnern, und der damit verbundenen Stille umgehen wird ist noch nicht klar. Ich persönlich würde es als Realitäts-Check, als Gruß von John Cage oder als erholsames Element des leisen Knisterns so akzeptieren wie es kommt. Viele weitere Facetten des documenta 14 Radio Projektes werden in den kommenden Wochen und Monaten angekündigt werden und ich empfehle bei einer Reise zur documenta ein kleines Transistorradio oder radiofähiges Smartphone mit ins Gepäck zu nehmen. Der elektromagnetische Raum in Kassel wird Teil der Ausstellung werden.